AKTUELL IM ARCHIV Aus einer anderen Welt «Ein Nichts zu sein ist für mich unerträglich», schrieb der junge Sarner Hans Imfeld einst in einem Brief an seine Eltern. Später kämpfte er unter französischer Flagge in Indochina. Vor 75 Jahren wurde Imfeld in Saigon mit einem Rasiermesser ermordet. «Wenn sie wüssten, in welchen Umständen ich mich befinde! Es ist wohl besser, sie wissen es nicht. Gott helfe meinen Eltern!» Hans Imfeld schrieb diese Worte am Ostersonntag des Jahres 1945 in sein Tagebuch. Der gebürtige Sarner hatte sich seit etwa fünf Jahren nicht mehr bei seinen Eltern in Obwalden gemeldet. Das lag aber weniger an Hans Imfeld selbst als vielmehr an ebendiesen Umständen, in denen er sich befand. Tagsüber – wenn ihm nicht gerade Kugeln um die Ohren flogen – streifte er mit einer rostigen Maschinenpistole durch den Dschungel zwischen Vietnam und Laos. Abends fragte er sich, wie viel Opium er rauchen soll, um Schlaf zu finden. Bevor man nun aber versucht ist, dem Schicksal Imfelds mit reichlich Empathie und Bedauern zu begegnen, muss man etwas Wichtiges wissen. Für die ganze Misere, in der sich der damals 43-jährige Sarner vorfand, konnte nur eine einzige Person zur Rechenschaft gezogen werden. Er selbst. Eine rastlose Kämpfernatur Hans Imfeld wuchs als kluger und kämpferischer Bursche in Obwalden auf. Autoritäten waren ihm suspekt; zuwider gar, wenn sie seinen höchsten Ansprüchen nicht gewachsen waren. Zu Imfelds Kämpfernatur gesellte sich Rastlosigkeit – eine Mischung mit Sprengkraft. Und so führte ihn sein Lebensweg fort von Obwalden. Er wanderte nach Frankreich aus, von wo seine Vorfahren mütterlicherseits stammten, erhielt die französische Staatsangehörigkeit und absolvierte eine militärische Ausbildung zum Offizier. Von dort schickte er seinen Eltern regelmässig Briefe. Darin standen Sätze wie: «Ein Nichts zu sein ist für mich unerträglich.» Ein «Nichts» war Imfeld spätestens dann nicht mehr, als er die Ausbildung mit Bravour abgeschlossen hatte und seinen Militärdienst als Kolonialoffizier unter französischer Flagge in Tunesien, Syrien und ab 1938 in Indochina fortsetzte. Die Bezeichnung «Indochina» stammt aus einer Zeit, in der die heutigen Länder Vietnam, Laos und Kambodscha unter französischer Kolonialherrschaft standen. Mitte der 1940er-Jahre, als die westliche Welt nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs vor allem mit sich selbst beschäftigt war, entbrannte der Indochinakrieg. Was als Guerillawiderstand gegen die Kolonialmacht Frankreich begann, entwickelte sich zu einem Flächenbrand zwischen lokalen Konfliktparteien mit Unterstützung der Grossmächte USA, Sowjetunion und China. Der Indochinakrieg dauerte bis 1954. Laos und Kambodscha errangen ihre Unabhängigkeit, Vietnam wurde geteilt. Dass gerade in Vietnam das Schlimmste erst noch bevorstand, wusste man damals freilich noch nicht.
Hans Imfeld (1902–1947) bei einem seiner seltenen Besuche in Obwalden. (Staatsarchiv OW) Wenden wir uns wieder Hans Imfeld zu und drehen die Zeit zurück ins Jahr 1945. Als Kolonialoffizier im Dienste Frankreichs erlebte der gebürtige Sarner in Südostasien nicht nur das Ende des Zweiten Weltkriegs, sondern eben auch den Beginn des Indochinakriegs. Anfang 1945 hiess Imfelds Hauptproblem noch Japan: Das Land wollte mit Waffengewalt seinen Einfluss in der Region ausweiten. Frankreich – ebenfalls gezeichnet von einer Spaltung zwischen Vichy-Regime und General de Gaulles Widerstandsbewegung – hielt dagegen. Gegen die Japaner setzten sich zwar auch vietnamesische Unabhängigkeitskämpfer zur Wehr. Dies bedeutete aber noch lange nicht, dass sie Hans Imfeld gut gesinnt waren, denn schliesslich waren auch die Franzosen ungebetene Gäste in Indochina – zumindest in den Augen der Unabhängigkeitskämpfer. Die Kräfteverhältnisse veränderten sich durch die Kapitulation Japans am Ende des Zweiten Weltkriegs. Zum grössten
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