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Aktuell Obwalden | KW 43 | 27. Oktober 2022

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«Unsere Nachkommen

«Unsere Nachkommen werden uns nicht danach beurteilen, ob wir ihnen genügend Strom zur Verfügung gestellt haben (...), sondern ob wir ihnen eine Landschaft zurückgelassen haben, welche noch einigermassen intakt ist.» Der Grossteil der Einsprecher zeigte zwar Verständnis dafür, dass EWO und Regierung einer einheimischen Stromknappheit vorbeugen wollten. Doch was das EWO vorhatte, schien ihnen des Guten zu viel. Ein Giswiler legte seiner Einsprache sogar romantische Bilder aus dem Kleinen Melchtal bei: «Ich weiss, dass wir Strom brauchen, bin aber überzeugt, dass das vorgeschlagene Projekt eine sehr schlechte Lösung ist und dass wir das unserer Landschaft nicht zumuten können. Für den Fall, dass Sie das Kleine Melchtal noch nicht so gut kennen, schicke ich Ihnen beiliegend einige Fotos von diesem Naturwunder.» Ein interessantes Argument brachte die Gruppierung «Aktion Jugend Obwalden» (AKJO) in ihrer Stellungnahme vor. Man könne, so hiess es im Schreiben, erst in einigen Monaten Ja oder Nein zu den Plänen sagen. Der Grund: Am 23. September 1984 kam die Volksinitiative «für eine Zukunft ohne weitere Atomkraftwerke» an die Urne. Die AKJO hielt fest, dass sie bei einer Annahme der Atominitiative den EWO-Plänen zustimme – sonst nicht. Überhaupt stellte die AKJO in ihrem Schreiben an die Regierung einige clevere Überlegungen an, die aus heutiger Sicht fast schon prophetisch anmuten: Man müsse sich vor allem Gedanken machen zu neuen Technologien rund ums Thema Energie, schrieb die AKJO und sprach etwa die Wärmedämmung von Gebäuden an sowie die Stromgewinnung durch Sonnenenergie. Wohlgemerkt: Das war vor knapp 40 Jahren. Ingenieure gehen über die Bücher Nach all den Einsprachen und negativen Rückmeldungen war im Sommer 1984 für das EWO und den Kanton klar, dass sie auf die Bremse treten mussten. Erst zwei Jahre später, im August 1986, folgte ein überarbeitetes Projekt eines Tessiner Ingenieurbüros mit Teilvarianten zum Bau des Ausgleichsbeckens im Kleinen Melchtal. Diese Bauvarianten sollten die Eingriffe in die Natur schmälern, allerdings nur während der Bauzeit und mit massiven Mehrkosten. In der Einleitung des Berichts zum überarbeiteten Projekt stand, dass sich 1984 «in Naturschutzkreisen ein gewisser Widerstand gegen die Eingriffe im Kleinen Melchtal» gebildet habe. Das war natürlich eine massive Untertrei- Plan aus dem Jahr 1986 mit dem Staubecken (hellblau) im Kleinen Melchtal, der Staumauer (pinkfarben) und den verschiedenen (teils bestehenden) Stollenführungen im Kleinen Melchtal. (Staatsarchiv OW)

ung und dürfte kaum geholfen haben, die Bevölkerung milde zu stimmen. Im Wesentlichen ging es bei diesen Varianten um «eine Untersuchung der Möglichkeiten, die vorgesehenen Bauarbeiten ohne Ausbau der Strasse, jedoch mit einer Vergrösserung des Druckstollenquerschnittes oder eines Strassentunnels durchzuführen». Die Lastwagen für den Bau des Beckens hätten also tatsächlich durch einen neuen Tunnel oder einen vergrösserten Druckstollen fahren sollen (siehe Plan rechts). Spätestens zu diesem Zeitpunkt war allen klar, dass es sich beim geplanten Becken nicht um ein kleines Bauvorhaben, sondern um ein Jahrhundertprojekt handelte, das über die Kantonsgrenzen hinaus Aufmerksamkeit erregte. In einem Artikel der Neuen Zürcher Zeitung wurde die Kontroverse um das Staubecken im Kleinen Melchtal gar als Fortsetzung des Streits um die legendäre Absenkung des Lungerersees im 18. und 19. Jahrhundert gedeutet. Der verheerende Erdrutsch vom 8. September 1986 in Giswil trug ebenfalls nicht zum Wohlwollen der Bevölkerung gegenüber Eingriffen in die Natur bei. Lange hielt sich sogar das Gerücht, wonach ein bestehender Freilaufstollen, der Wasser aus dem Kleinen Melchtal in den Lungerersee leitet, den Erdrutsch begünstigt haben könnte. Allerdings gab es dafür keinerlei Anhaltspunkte. Ökologisches Gutachten war Todesstoss Und das ökologische Gutachten? Liess noch immer auf sich warten! Erst Ende November 1987, notabene 3,5 Jahre nachdem der Bericht in Auftrag gegeben worden war, schickten die zwei Experten aus Wallisellen und Solothurn ihr 60-seitiges Dokument an die Regierung. Das Urteil – begleitet von einer Entschuldigung für die Verspätung – war unmissverständlich: Am vorgesehenen Standort sei das Staubecken im Kleinen Melchtal ein zu grosser Eingriff in die Natur. Vor allem im Bereich der geplanten Staumauer treffe man «eine höchst bemerkenswerte und Gute Idee oder Wahnsinn? Die Lastwagen für den Bau des Stausees hätten direkt via Wasserstollen ins Kleine Melchtal fahren sollen. (Staatsarchiv OW) seltene Vegetation» an. Dieser müsse «gar nationale Bedeutung zugemessen werden». Diese Einschätzung galt – auch wenn sie keine Rechtsverbindlichkeit hatte – faktisch als Todesstoss für den Stausee im Kleinen Melchtal. Dies sahen auch das EWO und die Regierung so. Erledigt war das Thema aber keineswegs. Als Alternative wurde nun ein Ausgleichsbecken (ebenfalls 300 000 m 3 ) im Gebiet Tobelplätz auf der anderen Talseite präsentiert, gespeist von den erwähnten Wildbächen. 1995 wollte die Regierung die Konzession erteilen. Erneut folgten Einsprachen. Diese wurden entweder bereinigt oder von der Regierung abgelehnt. Doch die Gemeinde Lungern und drei Umweltverbände gaben sich nicht geschlagen. Sie wehrten sich bis vor Bundesgericht und erhielten im Jahr 2000 tatsächlich Recht. Sämtliche Anstrengungen des EWO für den Bau eines grossen Staubeckens waren gescheitert. Für immer? In einem Bericht der Regierung von 2018 zur Strategie Wasserkraft des Kantons Obwalden heisst es, das EWO habe seit dem Jahr 2000 einen weiteren Ausbau der Infrastruktur «nicht mehr weiterverfolgt». Jetzt wissen wir, weshalb. (ve)

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